Monday, December 10, 2012

Hygiene Fortbildung


Montag, 10.12.2012
Also ich muss jetzt eine Woche auf Hygiene-Fortbildung. Gesetz ist Gesetz, aber ich finde eine ganze Woche einigermaßen übertrieben, denn in unserem Krankenhaus herrscht notorische Sauberkeit. Unsere Zahlen von nosokomialen Infektionen werden regelmäßig angezweifelt, aber wir haben einfach nicht mehr. Orthopädie und Rheumatologie sind andere Fächer als HNO und Urologie - ja, die haben mit Keimen zu kämpfen.
Aber, wie es auch sei, man lernt schließlich nichts vergebens. Und in unserem Krankenhaus stirbt eher einmal jemand aus Zufall, wie jemand auf einem Flughafen oder im Kaufhaus, so alle anderthalb Jahre haben wir einmal einen Todesfall. Nicht, dass jetzt einer meint, ich würde darüber klagen. Nein, ich bin's zufrieden so!
Einer, der seinem Namen MPH angehängt hat (miles per hour?), sagte: "Ich hoffe, es wird eine spannende Woche!" Sein Wort in Gottes Ohr.
Geht man von allen Krankenhäusern aus, so erleiden 3,5% aller Patienten eine nosokomiale Infektion. Kann ich nachvollziehen, dass man daran was ändern will und soll. Wir sprechen von 400-600.000 Infektionen, die in Krankenhäusern erworben werden und 10-15.000 Menschen sterben auch daran. Das sind mehr Menschen als im Straßenverkehr ums Leben kommen.
Man spricht vom "aktuellem wissenschaftlichem Stand" - ja, deutsches Sprach schwierig Sprach.
Interessant waren auch die Ergebnisse einer Studie des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen: mehr als 90% der Masthähnchen sind ESBL-Träger (besondere Keime, bei denen bestimmte Antibiotika nicht mehr wirksam sind), 96,4% der Hähnchen enthielten Antibiotika (bis zu acht verschiedene).
Wir unterhielten uns auch über die Möglichkeit von Stuhltransplantaten (Stuhl des einen Menschen wird in den Darm eines anderen Menschen gebracht). Interesse an Einzelheiten?
Rhinosinusitis ist in 98% ein Virusinfekt, trotzdem werden laufend Antibiotika verordnet. NNT 15! D.h. man muss etwa 15 Menschen überflüssigerweise behandeln, um einem zu helfen.

Dienstag 11.12.2012
Heute war unter anderem Ausbruchmanagement dran, nein, hat nichts mit Papillon oder Gefängnis zu tun. Aber vor ca. einem Jahr gab es in Bottrop einen Ausbruch von infektiöser Keratokonjunktivitis. DER WESTEN berichtete darüber: http://www.derwesten.de/staedte/bottrop/hochansteckendes-virus-legt-augenklinik-in-bottrop-lahm-id6124751.html. Die ÄrzteZeitung geht weniger zimperlich mit der Augenklinik um: http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/augenkrankheiten/article/801437/adenovirus-legt-augenklinik-lahm.html. Die betroffene Klinik konnte bis zum Ende der Epidemie nur noch Patienten mit der Keratokonjunktivitis behandeln. Es wird berichtet: "Die Klinik habe den Ausbruch nicht gemeldet, wie es im Infektionsschutzgesetz gefordert wird (Paragraf 6 Absatz 3 IfSG)." Im Endeffekt ist es besser für Patienten wie auch Klinik, sofort das Gesundheitsamt mit einzubeziehen. Nur durch schnelles Handeln kann man weitere Infektionen verhindern. Nicht das Vertuschen kann im Interesse der Klinik liegen, sondern das schnelle Abwenden von Schaden für Patienten, Mitarbeiter und Ruf der Klinik. Schuld an dem Keim ist die Klinik eher selten, aber häufiger sind Kliniken schuld, weil sie zu langsam reagierten. Die meisten Keime tragen wir selbst mit uns herum.
Thema Noroviren. Die gehen häufig um. Sie sind so infektiös, weil sich viele Viren in infektiösem Material wie Stuhl und Erbrochenem finden, aber nur sehr wenige Viren zu Infektion reichen. Zeichen dafür, dass es sich um eine Norovireninfektion handeln könnte: schwallartiges Erbrechen, Erkrankungsdauer nur 12-60 Stunden, aber auch kurze Inkubationszeit von 15-48 Stunden.
Hat jemand Interesse an der "Richtlinie 75/445/EU" oder der "Richtlinie 2001/119". Ich gestehe! Auch mein Interesse hielt sich in Grenzen. Blutegel dürfen allerdings nicht unter der EAK 180103* entsorgt werden. OK, ich benutze keine Blutegel. Das war also ziemlich überflüssig.
Wichtiger ist hingegen die Händedesinfektion. Also Semmelweis hatte vor etwa 150 Jahren versucht, das einzuführen. Nun, es sehen immer noch nicht alle ein, dass dies eine der wichtigsten Massnahmen der Hygiene ist.
"2014 wird das Gesetz und seine Änderungen angepaßt ..." - ja, ich weiß, nicht immer mit der Goldwaage ...
"Was ist Evidenz?" sprach's wie Pontius Pilatus: "Was ist Wahrheit?" - OT: fast hätte ich gerade Pilates geschrieben.
Gut, was habe ich sonst noch so gelernt? Viele Abkürzungen, wie MRGN oder ESBL oder TRBA oder LAGA wie gaga. Ich bin gegen Abkürzungen, man kann sich nicht darauf verlassen, dass sie jeder versteht oder jeder dasgleiche darunter versteht, wie bei MASH: jemand meinte, cc stände für cups of Coffee und nicht für cubic centimeter.
Verleser des Tages: Milchkühe anstatt Milchküche.

Mittwoch 12.12.2012
MRSA-Network: Es fängt langatmig an, ist aber ein interessantes Thema. Die Tagesprävalenz in acht Krankenhäusern vor Einführung des Netzwerkes lag bei 2%. Die Zahl nach Einführung wird noch berechnet; jaa, ich hätte diese wichtige Zahl direkt berechnet!
MRSA wird in spa-Typen eingeteilt. Wanderer kommst Du nach Spa. Gut zu merken.
Neue Begriffe: Ich habe heute wieder einige neue Begriffe gelernt oder wiederentdeckt: Gesundheitsaufseherin (fast wie Krankenwärter), Großgebinde, Lebensmittelkontrollassistent, Desinfektor (das ist der Terminator der Viren und weiterer Aggressoren), Entseuchung.
Begehung: Interessant, was bei Begehungen auffällt. Da wird die Basishygiene nicht umgesetzt, das Proktoskop wird im Waschbecken neben der Kaffeemaschine gesäubert, eine Salbe aus dem Jahr 1976 ist noch in Gebrauch, Kanülen werden in Marmeladengläsern entsorgt. Mich hat besonders die Salbe fasziniert -: mal ehrlich, würde nicht jemand die Gesichtssalbe von Kleopatra probieren wollen, wenn man sie fände?
Kommunikation: „Können Sie mich verstehen?“ „Nein.“ Ja, ich weiß, so ähnlich wie: „Schläfst Du schon?“ „Ja.“
Lebensmittelüberwachung: HACCP – ja, das hat nichts mit СССР (Союз Советских Социалистических Республик) zu tun. HACCP steht für Hazard Analysis and Critical Control Points (deutsch: Gefahrenanalyse und kritische Kontrollpunkte). Ein Konzept, dass in der Lebensmittel verarbeitenden Industrie und auch in Großküchen angewendet wird.
Einer meiner Freunde arbeitete während des Studiums in der Feinkost. Gut, das ist schon eine Weile her, aber es verdeutlicht, wie sinnvoll so ein HACCP Konzept ist. Es kam abgelaufene Leberwurst zurück und er wollte sie wegwerfen, aber der Vorarbeiter hielt ihn davon ab, denn die wurde der frischen Leberwurst beigemengt – nur so hätte sie den typischen Leberwurstgeschmack. Es kam Fisch zurück und auch der wurde nicht weggeworfen, denn daraus wurde ein Fischsalat hergestellt. Wäre ich doch schon damals Vegetarier gewesen!
Tagesmütter und Tagesväter, die den Kleinen Essen ausgeben, müssen eine Schulung im Gesundheitsamt absolvieren. Rein theoretisch müsste das auch ein Babysitter. Oder der Kirchenvorstand, wenn bei Adventsbasar zum Beispiel Salate verkauft werden, auch wenn das Geld dann gespendet wird, denn der Kirchenvorstand gilt als Lebensmittelhersteller.
Gut, dass ich endlich vom Hygiene-Paket, einer Verordnung der EU erfuhr: VO 852/853/854/2004. Soll ich das nicht einfach gleich wieder vergessen, zu viele Details belasten doch nur?
Trinkwasseraufbereitung: Doch, auch ein interessantes Thema. Hier gleich etwas aus diesem Jahr. Die Klinik in Düsseldorf-Gerresheim sollte umziehen in einen Neubau, aber das hatte man gefährliche Keime in der Trinkwasserversorgung festgestellt (Pseudomonas aeruginosa): http://www.derwesten.de/staedte/duesseldorf/keime-in-klinik-neubau-in-duesseldorf-id6990172.html. Legionellen sind auch ein Problemkeim, der in Wasser mit der Temperatur 30-45° besonders gut gedeiht. 2007 hatte es das Klinikum in Fulda erwischt. Link: http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/region/klinikum-fulda-legionellen-im-trinkwasser-1460746.html. Und 2003 das Klinikum in Frankfurt an der Oder: http://www.tagesspiegel.de/berlin/brandenburg/legionellen-entkeimungsanlage-war-abgeschaltet/436502.html, dort starben zwei Frauen, weil die Entkeimungsanlage abgeschaltet bzw. nicht funktionstüchtig war. Man geht von 15-18.000 Infektionen – nicht im Krankenhaus! – pro Jahr aus.
Desinfektion: eine Schlussdesinfektion ist keine Enddesinfektion. Ich fasste den Entschluss nicht nach der Endschlussdesinfektion zu fragen oder ist es die Schlussenddesinfektion?

Donnerstag, 13.12.2012
Beatmungsassoziierte Pneumonien: das sind Lungenentzündungen bei künstlich beatmeten Patienten. Der Fachausdruck auf Englisch ist ventilator associated pneumonia (VAP). Das Risiko für einen beatmeten Patienten, zu versterben, steigt pro Beatmungstag um 1-3%. Die zusätzlichen Kosten betragen pro Fall 9.000-31.000 Euro, "was allerdings nicht das Leid widerspiegelt".
Die Stressulkusprophylaxe (wg. der gefürchteten Magenblutung bei Intensivpatienten) erhöht aber über den höheren pH-Wert die Besiedlung des Magens mit Keimen der Darmflora.
Aussprache: Isch sach Ischämie, andere sagen Isss-kämie.
Händedesinfektion: Merkwürdig, immer wieder kommt eine mangelnde Händedeesinfektion als Quelle für Infekte zum Vorschein, z.B. bei zentralen Venenverweilkathetern. Da werden Menschen mit Medizinhintergrund beobachtet, wie sie am Venenkatheter ohne Händedesinfektion arbeiten, sich danach aber die Hände desinfizieren. Unter Umständen steht ein verhaltenspsychologisch besser zu beschreibendes Problem dahinter. Hier ein Link mit einer Annährerung zur besseren Umsetzbarkeit der Händedesinfektion: http://www.praxis-page.de/ash/downloads/pdf/folien/vortrag_compliance.pdf. Aber das gilt nicht nur in der Klinik. Zu Hause gibt es auch Tätigkeit, bei denen Keime übertragen werden, die Resistenzen mit sich tragen. Beispiel wäre die Zubereitung von Hähnchen. Aber zurück zu meiner Idee: ich möchte mehr erfahren über die verschiedenen Motivationen, sich wann zu die zu desinfizieren oder warum es überhaupt nicht zu tun, wo es doch für weniger Infektionen und Todesfälle sorgt.
Kiss, kiss, kiss: nein, nicht das Lied von Tarkan. KISS steht für Krankenhaus Infektion Surveillance System. Da gibt es eine ganze Reihe von: NEO-KISS (nein, nicht Neo von Matrix sondern Neonatal), ONKO-KISS (nein, nicht Kaffee sondern von Onkologie), Hand-KISS (nicht Handkuss sondern ein System um den Gebrauch der Händedesinfektion nachzuhalten) und weitere mehr.
Leider auch ein trockenes Thema und das nach dem Mittagsessen. Während die Infektionsdichte bestimmt wird, möchte ich eigentlich die Einnickdichte unter den Zuhörern quantifizieren.
Dann war die Rede vom INVERNTIONS-Bündel.
"Während der Erfassungen sind Augen und Ohren offen zu halten" - vielleicht kam der Hinweis, weil Fassen einen haptilen Vorgang beschreibt, also zum Tastsinn gehört. Wie sagte schon Baltus Powenz: "Alles Begreifen heißt alles Verstehen."
Zentralsterilisation: Man soll es nicht meinen, aber auch dabei gibt es Skandale. Hier z.B. die Probleme in der Zentralsterilisation des Klinikums Fulda: http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/klinikmanagement/article/636798/klinikum-fulda-zentralsterilisation-voruebergehend-stillgelegt.html und noch die Pressemitteilung des Klinikums: http://www.klinikum-fulda.de/startseite/news-archiv/aktuelles/archiv/13/article/die-zentralsterilisation-des-klinikums-fulda-wird-nach-entscheidung-des-vorstandes-vorlaeufig-stillg.html, Skandal ist schon fast zu hoch gegriffen.
Neuer Begriff: Flugrost - hatte ich wirklich noch nicht gehört. Es handelt sich um Eisenstaub, der eben rostet und sich auf Gegenständen niederschlägt. Demi Wasser, oder hatte ich mich verhört? Demi Moore? Nein, es handelt sich um demineralisiertes Wasser.

Freitag, 14.12.2012
So, heute ist der letzte Tag der Fortbildung.
„Können Sie mich hinten gut hören?“ – ja, es geht eben auch anders, wie man sieht.
MRSA: Die Themen wiederholen sich, aber immer aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Die Niederlande im Grenzgebiet zu NRW haben eine geringere Durchseuchung (< 1%) als etwa das Münsterland – dort liegt die Rate bei 5-25%. In den Schweinemastbetrieben der Kreise Borken (BRD) und Twente (NL) sind fast 100% der Tiere MRSA-Träger. Die Untersucher waren auch nach der Untersuchung possitiv, aber interessanterweise nach zwei Tagen wurden sie negativ getestet. Es gibt eine App für MRSA: MRSApp. Link: http://www.mrsapp.rhein-kreis-neuss.de/html/start.html.
Keime: Bei dem Keim Burgholderia cepacia ging mir Cevapcici durch den Kopf.
Neue Abkürzungen: natürlich lernte ich wieder neue Abkürzungen kennen. LÖGD ist jetzt LZG (Landeszentrum für Gesundheit), PSA steht nicht Prostata spezifischen Antigen sondern für Persönliche Schutzausrüstung, ART steht für Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (unten dazu mehr).
Standardhygiene: Der Referent nannte es ein undankbares Thema, denn jeder meint sie einzuhalten und kaum einer macht dies. Handhygiene: My 5 moments for hand hygiene http://www.who.int/gpsc/5may/background/5moments/en/. “Ärztekittel sind eine Katastrophe.“ Nicht wundern, wenn wir in der Zukunft in Badehosen bzw. Badeanzug zur Visite erscheinen.
ART: ART steht für Antiinfektiva, Resistenz und Therapie. Es handelt sich um eine Kommission, die bereits eine Abkürzung hat, und schon in der Presse erwähnt wurde: http://www.aerzteblatt.de/archiv/94355. Vielleicht als kleinen Schwachpunkt könnte man anmerken, dass dies Kommission bislang noch keine Aktivität entwickelt hat.

Fazit: Ich war zu Beginn skeptisch, ob Hygiene wirklich ein Thema für eine Woche ist. Mich hat es interessiert. Ich halte die Hygiene für sinnvoll. Es gibt offensichtlich noch viele Verbesserungsbereiche, auch an unserem Zentrum, obwohl wir eine ausgesprochen niedrige Rate an nosokomialen Infektionen haben.


PS. Es handelt sich um die Hygiene Fortbildung zum Hygienebeauftragten Arzt, die jetzt jedes Krankenhaus auch für die Abteilungen nach Gesetzesänderung bereitstellen muss.

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