Thursday, August 8, 2013

Fibromyalgie am Beispiel einer orthopädischen Rehabilitations-Klinik


Ich lese gerade einen Übersichtsartikel einer orthopädischen Rehabilitations-Klinik zum Fibromyalgiesyndrom. Er richtet sich an Patienten. Trotzdem und aus meiner Sicht gerade deshalb sollte der wissenschaftliche Stand aktuell sein.
„Wenn alles weh tut“ ist richtig und eine gute Einleitung, auch die Historie der Erkrankung ist erfasst. Aber dann kommen Ungenauigkeiten und Fehler. „Die Fibromyalgie stellt immer eine Ausschlussdiagnose dar.“ Das ist ein altes Märchen. Die Diagnose Fibromyalgiesyndrom stellt man aufgrund der typischen Symptomatik und schließt dann zusätzliche Erkrankungen aus, die sich zusätzlich hinter verschiedenen Symptomen verbergen könnten. Ich weiß, dass die meisten Rheumatologen sich noch im Stadium des Ausschließens bewegen, aber ich halte diesen Ansatz gedanklich für falsch. Er wertet auch die Erkrankung Fibromyalgie ab. Andererseits ist bereits so viel ausgeschlossen worden bis der Patient zum Rheumatologen geschickt wird, dass wirklich nicht mehr viel auszuschließen gibt. Dann will man die Diagnose „ausschließlich auf die subjektiven Beschwerden des Patienten in Form ausgedehnter Schmerzregionen sowie die Diagnosekriterien des American College of Rheumatologie (nach Wolfe et al. 1990)“ stützen. Das kann man tun, aber die Leitlinie sieht ein anderes Vorgehen als sinnvoll an. Und übrigens macht das Frederick Wolfe bereits seit einem Jahrzehnt so, denn er will weg von der Vorstellung Tenderpoints gleich Fibromyalgie. Der Mythos von den 4 kp wird in diesem Artikel aufrechterhalten: „Bei Daumendruck von 4 kp deutlich vermehrte Schmerzempfindlichkeit an mindestens 11 der 18 definierten Tenderpoints (Tenderpointkriterium des American College of Rheumatologie).“ Also gut, die Leitlinie stellt es frei zusätzlich die ACR Kriterien zu überprüfen. Aber was sagen die Tenderpoints aus? Sie sagen nicht mehr aus, als was der Patient dem Arzt sagt: „ich habe Schmerzen von Kopf bis Fuß“. Meines Erachtens begibt sich Arzt nur in die Rolle des ungläubigen Thomas, der doch sagte: „Wenn ich nicht ... meine Hände in seine Nägelmale lege ...“ (nachzulesen im 20. Kapitel des Johannesevangeliums). Schmerzen werden anscheinend nur wahrgenommen, wenn man etwas auf dem Röntgenbild sehen kann oder wenn jemand aufschreit, sobald irgendwo gedrückt wird. Im praktischen Alltag sollte man aber Schmerzen glauben, nur derjenige, der sie erlebt, kann darüber Auskunft geben. Kein aktuelles Verfahren kann dies „objektivieren“.
Das Fehlen von überprüfbaren diagnostischen Fakten ist für die Patienten oft schwer zu verkraften, so dass die Betroffenen sich oftmals als "Simulanten" oder "Rentenjäger" diskriminiert fühlen.“ Hier steht Richtiges und Falsches. Das Fehlen von überprüfbaren diagnostischen Fakten ist für die meisten Ärzte oft schwer zu verkraften, wobei ich der Auffassung bin, dass es schon überprüfbare Fakten gibt, denn sonst könnte man eine Erkrankung wie etwa die Depression nicht diagnostizieren. Das ärztliche Verhalten, z.B. wenn sich kein organischer Befund finden lässt und dann signalisiert wird, es könnten keine Schmerzen da sein, führt zu dem Phänomen „ich habe mich schon als Simulant gefühlt“.
In den theoretischen Überlegungen zur Therapie stehen viele richtige Dinge, wie z.B.
- keine Wunderspritze oder Wundertablette
- Fibromyalgie erfordert einen multimodalen Therapieansatz
- umfassende Information über die vorliegende Erkrankung und deren Prognose
- psychologische und ärztliche Begleitung
- Beschwerdelinderung anstatt Schmerzfreiheit.
In der praktischen Ausgestaltung der Therapie werden jedoch neben wirksamen Methoden auch unwirksame eingesetzt, gar nicht entsprechend der Erkenntnisse, wie sie in der S3-Leitlinie dargestellt worden sind. Das ist nicht gut, denn der Patient soll Änderungen durchführen und die Erfahrung machen, dass sein eigenes Handeln die Besserung bewirkt hat. Das wird besonders durch passivierende Maßnahmen unterlaufen, und hier wurden erwähnt: Wannenbäder, Elektrotherapie, Magnetfeldtherapie (in meinen Augen eine Art von Esoterik), Moorbad, Akupunktmassage, Fußreflexzonenmassage (das ist Esoterik!) und weitere mehr. Das ist sehr schade, denn das psychologische Konzept („basierend auf einem kognitiv-behavioralen Ansatz“) wird dadurch geschwächt. Durch eine Beschränkung auf aktivierende Maßnahmen hätte man die Wirkung des psychologischen Konzepts jedoch verstärken können.

Trotz all meiner Kritik halte ich die Therapie in dieser orthopädischen Rehabilitations-Klinik für deutlich besser als den Durchschnitt; mich stört nur, dass man mit geringen Eingriffen ein noch besseres Ergebnis erzielen könnte.

2 comments:

  1. Hallo Dr. Kirsch,
    da bei mir die Diagnose FMS im März gestellt wurde, bin ich noch auf der Suche nach Informationen. Was ja nicht so einfach ist, weil ziemlich viel Mist (sorry) geschrieben wird. Die offiziellen Leitlienien haben mich da schon ein Stück weiter gebracht.

    Als ich Ihren Blog zum Thema orthopädischen Reha und den Schlussatz "mich stört nur, dass man mit geringen Eingriffen ein noch besseres Ergebnis erzielen könnte." las, frage ich mich jetzt natürlich, welche?
    Welche Eingriffe macht eine orthopädische Reha für Patienten mit FMS erfolgreich?
    Danke und Gruß Jasmin

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    1. Danke für die Zuschrift!
      Die allgemeine orthopädische Reha wird man nicht bessern können, dass sie auf Fibromyalgie gut wirksam sein kann. Aber in diesem speziellen Beispiel sind gute Voraussetzungen gegeben: man beschäftigt sich mit Fibromyalgie, man hat die notwendigen Therapeuten. Nun wäre es an der Zeit, aus der bloßen Aneinandereihungen von Therapiebausteinen ein multimodalen Konzept zu erstellen. Und es hieße auch, sich von passivierenden Maßnahmen zu verabschieden. Dann könnte man mitgeringen Eingriffen in den Ablauf der Reha-Therapie in diesem speziellen Fall ein deutlich besseres Ergebnis für die Patienten erreichen.

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